Stipendiatin Pia Viktoria Körzdörfer

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Pia Viktoria Körzdörfer studiert Bauingenieurwesen an der RWTH Aachen University und wurde bezüglich ihres bevorstehenden Auslandsaufenthaltes für das Vacasol Global Engagement Scholarship 2022 auserwählt. Sie wird ein Auslandssemester an der Pontificia Universidad Católica de Valparaíso (PUCV) in Chile absolvieren.

Dort möchte sie einen vielfältigeren Blick auf das Bauingenieurwesen auch außerhalb Deutschlands erhalten und spezifische Kurse, wie beispielsweise „Construcción Sismo Resistente͞“ (Deutsch: Erdbebensicheres Bauen) belegen. – „Durch den Klimawandel erlangen Aspekte wie das erdbebenresistente Bauen auch in Deutschland mehr Relevanz, da auch wir öfter mit Naturkatastrophen konfrontiert werden.“

Nachhaltigkeit spielt auch in Pias alltäglichen Leben eine wichtige Rolle. Sie ist der Meinung, dass man auch als individuelle Person einen Einfluss auf den Klimawandel haben kann. Aus diesem Grund hat sie ein paar Routinen entwickelt, welche sie auch in Chile beibehalten möchte. Seit 1,5 Jahren ist Pia Mitglied bei foodsharing, eine Initiative, bei der es darum geht, die Lebensmittelverschwendung möglichst gering zu halten. Dafür möchte sie in Chile lokal und regional auf Märkten einkaufen, in einer WG leben, um Lebensmittel und Dinge für den täglichen Gebrauch zu teilen, sowie öffentliche Verkehrsmittel und das Fahrrad nutzen.

Weitere persönliche Ziele von Pia sind es, die ursprünglichen Kulturen, wie die Mapuche, zu erkunden, ihrer Lieblingsbeschäftigung – dem Wandern – nachzugehen und ihre Spanischkenntnisse zu verfestigen.

Wir freuen uns auf einen spannenden Bericht und schöne Fotos!

Halbzeitbericht

Am 28.7 ging es für mich los nach Chile, zum ersten Mal in ein Land auf den amerikanischen Kontinenten. In der schönen Stadt Valparaíso, ca. 2h Autofahrt von der Hauptstadt Santiago de Chile entfernt, werde ich nun im Rahmen eines Auslandssemesters Bauingenieurwesen an der PUCV (Pontificia Universidad Católica de Valparaíso) beginnen.

Nach dem gefühlt endlosen Flug mit einem Zwischenstopp in Huston, bin ich endlich angekommen und wurde direkt mit einer atemberaubenden Aussicht belohnt. Direkt vor dem Eingang zum Flughafen konnte man nämlich einen Blick auf die schneebedeckten Gipfel der Anden erhaschen. Dieser kurze aber eindrucksvolle Moment hat direkt Lust auf das Leben und Studieren in Chile gemacht und alle Unannehmlichkeiten des Fluges vergessen lassen.

Chile - Pia Viktoria Körzdörfer

Da ich bereits ein paar Tage vor dem offiziellen Semesterbeginn ankam und auch die Orientierungswoche der PUCV nur wenige Veranstaltungen beinhaltete, hatten ich bereits am Anfang viel Zeit um die anderen Austauschstudierenden und die Stadt kennenzulernen.

Zu Beginn stellte sich uns allen eine wichtige Frage: wo will ich wohnen? Viña del Mar und Valparaíso liegen sehr nah beieinander und meine Universität hat in beiden Städten Standorte. Da aber meine Fakultät in Valparaíso liegt (die Stadt wird hier liebevoll Valpo oder Valpito genannt) und mir die Stadt durch ihren alternativen und künstlerisch geprägten Charakter besser gefällt, war für mich die Entscheidung schnell gefällt. Die Stadt ist in den „Plan“, also den unteren flachen Teil mit rechtwinklig angeordneten Straße und die „Cerros“, also die verschiedenen Hügel, aufgeteilt. Ich habe dann recht schnell eine schöne Wohnung im Viertel „Cerro Alegre“ gefunden, was zusammen mit dem Viertel „Cerro Concepción“ das touristische Zentrum der Stadt bildet.

In meiner Nachbarschaft findet man viele kleine Restaurants und Cafés, genauso wie die typischen bunten Häuser. Durch die Straßen und Treppen zu schlendern stellt schnell eine tagesausfüllende Beschäftigung dar, weil es an jeder Ecke ein neues Wandgemälde zum entdecken gibt. Fast direkt bei mir vor der Haustür liegt ein kleiner „Mirador“ (= Aussichtsplattform), von denen es zahlreiche gibt und von wo aus man immer einen schönen Blick über die ganze Stadt hat. Besonders morgens, wenn ich auf dem Weg in die Uni bin und es gerade erst dämmert, ist der einzige Moment, wo man die sonst so quirlige Stadt ruhig und verschlafen erleben kann. Von dieser Plattform aus, kommt man entweder über eine der gefühlt endlos langen Treppen oder einen „Ascensor“ (= Aufzug) in den unteren Teil der Stadt, wo sich der meiste Trubel abspielt. Die Ascensoren gibt es überall in der Stadt, zu Beginn war geplant, dass jedes Cerro einen Eigenen bekäme. Immerhin 5-6 sind auch heute noch in Benutzung, sodass man immer eine entspanntere Alternative hat, um die Cerros zu erklimmen.

Chile - Pia Viktoria Körzdörfer

Sowohl die Ascensoren, als auch das Haus in dem ich lebe, was von 1865 ist, haben schon einige Erdbeben überstanden. Erst 2010 gab es ein sehr Starkes, was auch einen Tsunami mit sich zog und viele Teile der Stadt zerstörte. Zum Glück gibt es von solchen starken Erdbeben (= Terremoto) nur wenige und die Schwächeren, die hier Temblor genannt werden, richten kaum Schaden an. Meine Mitbewohner haben mir erzählt, dass es von den Temblores jeden Tag mindestens eins in Chile gibt, sodass man sich am besten schnell daran gewöhnt. Auch wenn man davor keine Angst haben muss, sollte man immer wissen, wie man sich im Ernstfall eines stärkeren Erdbebens verhalten soll. In der ganzen Stadt sind dafür auch Schilder aufgestellt, die den Fluchtweg weisen, sollte es zu einem Tsunami kommen.

Weil Chile also so viele Erdbeben hat, aber die Schäden vor allem an Personen und Gebäuden sehr gering ausfallen, scheint dieses Land perfekt, um das erdbebensichere Bauen zu erlernen. Neben anderen Kursen belege ich das Fach „Disipación y Aislamiento Sísmico“ (= Ableitung und Isolierung von seismischen Kräften). Zu lernen, eine Konstruktion sicherer zu bauen und das anhand von Beispielen wie Krankenhäusern in den Vorlesungen zu erfassen, ist ziemlich eindrucksvoll. Ist so ein Gebäude nicht ausreichend gegen das Einwirken von seismischen Kräften geschützt, können hier auch schon bei kleineren Erdbeben Menschenleben in Gefahr sein. Die Struktur der Vorlesungen ist ganz anders aufgebaut, als in Deutschland.

Chile - Pia Viktoria Körzdörfer

In den einzelnen Kursen sind kaum mehr als 20 Personen, aber da Anwesenheitspflicht herrscht, sind diese dafür immer da. Die Vorlesungen an sich sind viel interaktiver gestaltet, sodass die Studierenden oft nochmal nachfragen, wir in Gruppenarbeiten die Inhalte selbstständig erarbeiten. Auch die generelle Mitarbeit unter dem Semester wird anders gehandhabt: in den meisten Fächern schreiben wir schon während des Semesters Proben und müssen Hausarbeiten abgeben. Praktischerweise war ich dadurch auch gezwungen, mich sehr schnell wieder an die spanische Sprache zu gewöhnen. Nachdem ich diese zuvor 7 Jahre nicht mehr gesprochen habe, ist doch einiges in Vergessenheit geraten.

Meine WG ist dabei auch eine große Hilfe. Ich wohne hier mit 4 Chilen*innen und einem Spanier zusammen. Während wir anfangs teilweise noch ins Englische wechseln mussten, komme ich mittlerweile auch auf Spanisch gut klar. Und auch generell im Alltag ist die Sprache für mich größtenteils keine Barriere mehr. Ob es beim Einkaufen in der Markthalle, beim Tanzkurs oder nur beim Zusammensitzen mit Kommiliton*innen nach der Vorlesung ist - die Menschen sind immer nett und hilfsbereit. Man kommt schnell mit Chilen*innen ins Gespräch und lernt dadurch viel über die chilenische Gesellschaft und die Sicht auf das Leben von den einzelnen.

Anfang Dezember ist das Semester bereits vorbei und ich bin gespannt was die letzten Wochen an der Universität und die freie Zeit danach noch mit sich bringen. ¡Que te vaya bien!

Abschlussbericht

Nach mehr als sechs Monaten neigt sich mein Auslandssemester in Chile mittlerweile dem Ende und ich möchte an dieser Stelle gerne ein Resümee des Aufenthalts ziehen.

Während des Semesters gab es ein paar Feiertage, unter anderem den Unabhängigkeitsfeiertag. Durch Freunde an der Fakultät und meine Mitbewohner habe ich früh erfahren, dass dieser und die Tage darum herum die wichtigsten Tage für viele Chilenen sind und man drei Tage durchgängig feiert. Die Fakultät wurde mit Girlanden und Luftballons dekoriert und auf der großen Allee „Avenida Brazil“ vor dem Gebäude wurde an einem Nachmittag Cueca, ein traditioneller chilenischer Tanz, getanzt. Es wurden sogar Prüfungen verschoben, damit Schüler*innen und Dozent*innen gleichermaßen die Möglichkeit haben, diese Tage genießen zu können. An mehreren Orten im ganzen Land wurden große Feiern veranstaltet und mit einigen Freunden bin ich zu einer davon im „Sporting Club“ in Viña del Mar gegangen. In dem Stadion, das normalerweise für Sportevents genutzt wird, wurden eine Vielzahl von kleinen Läden aufgebaut, wo man vorwiegend Krimskrams kaufen konnte, und Spielstände für Spiele wie Dosenwerfen oder Entchen angeln. Kulinarisch wurden natürlich Churros, riesige Barbecue-Stände aber auch diverse Getränkeverkäufeangeboten. Neben Bier ist hier der Cocktail „Terremoto“ (= Erdbeben) ein Verkaufsschlager, der aus süßem Wein, Grenadinesirup und Ananaseis besteht. Die Aufmachung dieser Feier ähnelt dem deutschen „Oktoberfest“ und sogar riesige Zelte waren dort aufgebaut, wo man den Abend verbrachte, feierte und Musik hörte.

Chilenischer Cocktail
Chilenischer Cocktail

Ende Oktober hatte ich von der Universität aus eine Woche frei, was für mich gut gepasst hat, da in dieser Zeit mein Touristenvisum ausgelaufen ist, wie bei vielen der anderen Austauschstudenten auch. Ich habe zwar ein Studentenvisum beantragt, allerdings erst sehr spät eine Rückmeldung erhalten, sodass ich in der Mitte meines Aufenthalts einmal das Land verlassen musste, um ein neues Touristenvisum zu erhalten. Ich habe die freie Woche demnach genutzt, um mit einer Freundin eine Reise nach Uyuni in Bolivien zu machen. Um einerseits den Flug zu vermeiden und andererseits in der Hoffnung, die Höhenkrankheit nicht ganz so schlimm zu bekommen, sind wir für mehr als 25 Stunden dorthin mit dem Bus gefahren. Von Uyuni aus haben wir eine mehrtägige Tour in die beeindruckende gleichnamige Salzwüste und dessen Umgebung gemacht. Abgesehen von der Wüste haben wir eine diverse Fauna unter anderem mit vielen Flamingos, Alpakas, Guanacos und Degus bestaunen dürfen. Die Tour war interessant gestaltet und ich fand es gut, dass darauf geachtet wurde, dass die Natur nicht durch die Touristen ausgebeutet wurde. So gab es einige Eco-Camps entlang der Route und die Anzahl der Menschen war sehr gering für die große Fläche auf der sie verteilt waren.

Bolivien Collage
Bolivien Collage

Nachdem ich aus Bolivien zurück gekommen bin, musste ich nochmal einen letzten Monat in die Uni, der ziemlich intensiv war. Es standen viele Abschlussprüfungen an und ich musste noch ein paar Essays einreichen, um die Kurse zu bestehen. Ich habe viel meiner Freizeit in den Lernräumen der Universität verbracht und mit meinen Kommiliton*innen die letzten Abgaben fertig gemacht. Ab und zu habe ich mich aber auch mit Freunden bei einem von uns zu Hause getroffen oder wir sind in ein Café gegangen, um ein bisschen Abwechslung in den Lernalltag zu bringen und ihn ein bisschen ungezwungener zu gestalten. Meine letzte Prüfung war mit meiner Gruppe einen Vortrag über Projektmanagement im Bauwesen zu halten. Da dieser auf spanisch sein muss, hatte ich davor ein bisschen Angst, dass meine Sprachkenntnisse nicht ausreichend seien, aber meine Gruppe hat mich viel unterstützt und mit einer kleinen Karteikarte mit den wichtigsten Übersetzungen konnte auch diese Prüfung erfolgreich abgeschlossen werden. Über die Kontakte und neuen Erfahrungen aus meiner Zeit an der PUCV bin ich dankbar und werde das gelernte mit nach Deutschland mitnehmen, um dort meine letzten Semester noch besser gestalten zu können.

Ich habe mich danach entschlossen, noch Zeit zu nutzen, um anschließend nach Peru zu reisen und mir dort den Süden anzusehen. Da meine Freunde alle noch Prüfungen hatten, bin ich alleine los und das kann ich auch jedem empfehlen. Ich war schon oft alleine reisen, habe aber immer Leute kennen gelernt, sodass ich mich noch nie einsam gefühlt habe. Und genau so kam es auch in Peru: ich war in der traumhaft schönen Stadt Arequipa und wollte von dort einen Ausflug in das nah gelegene Colca-Tal machen, um die Kondore zu sehen. Ich habe mich dann für eine Tour entschieden, wo man früh morgens zum Tal gebracht wurde und dann gewartet hat, bis die Kondore mit der warmen Morgenluft aufsteigen. Während ich dort gewartet habe, wurde ich von einer Peruanerin angesprochen, die in meinem Alter war und mit ihrer Schwester und Tante unterwegs war. Wir haben uns von Anfang an gut verstanden, weshalb wir uns auch für den nächsten Tag verabredet haben. Die drei wollten in ein paar Museen gehen, da die Geschichte diese Region sehr spannend ist. Sie haben mich in ein Museum geführt, in dem man eine alte Kindermumie sehen konnte und ich habe ihnen danach ein altes Kloster gezeigt, welches ich architektonisch sehr ansprechend fand. Nachdem ich mich von den dreien verabschiedet hatte, ging es für mich weiter nach Cusco und damit auch zu Machu Picchu. Von einem Kommilitonen wurde mir davor gesagt, ich solle am besten nicht einen der Züge zu dem Ort „Aguas Calientes“ bei Machu Picchu nehmen, sondern dorthin laufen. Er hat mir dann auch kurz erklärt, welche lokalen Busse und Sammeltaxis ich nehmen muss, um in nach „Hidroelectrica“ zu kommen und von dort aus sind es dann nur noch ca. 12km nach Aguas Calientes. Ich bin direkt an den Bahngleisen durch das Tal gelaufen und konnte die Vielfalt der Pflanzen bestaunen. Auch wenn Machu Picchu am Tag danach atemberaubend war, genieße ich solche Wanderungen durch eine außergewöhnliche Landschaft, die so unterschiedlich zur Deutschen ist, sehr.

Peru Collage
Peru Collage

Aber auch Chile konnte mit seinen Nationalparks mithalten. Ich habe Anfang des neuen Jahres eine längere Reise in den Süden gemacht, um dort die Schönheit Patagoniens zu sehen. Es gibt dort insgesamt 24 geschützte Nationalparks alleine auf dem chilenischen Teil, weshalb dieser Ort als einer der geschütztesten Naturabschnitte der Erde zählt. Aber nicht nur die Landmassen sind geschützt, sondern auch eine große Fläche der angrenzenden Meere. Durch die Nationalparks zu wandern kann zwar manchmal etwas beschwerlicher sein, da umgestürzte Bäume beispielsweise oft einfach liegen gelassen werden, aber die unberührte Natur ist faszinierend. Selbst wenn man im Torres del Paine wandert, der mittlerweile als Wanderreiseziel hoch im Kurs liegt, kann man ganz einfach den Touristenmengen entgehen und wandert plötzlich auf kleinen Trampelpfaden einen Berg hoch, von wo aus man die „Torres“ (= Türme) und einige Gletscher hervorragend sehen kann. Überall sind Warnschilder angebracht, falls man einem Puma begegnet, aber bei mir hat es sich auf Guanacos, Wale, Delfine, Pinguine, Stinktiere, Gürteltiere und noch vieles Weitere beschränkt. Ich frage mich, ob für Chilenen ein deutscher Wildpark mit Rehen und Wildschweinen auch so spannend wäre, was die Tierwelt angeht, wie für mich deren Nationalpark. Die Naturvielfalt, die von Gletschern bis hin zur patagonischen Steppe reicht, werde ich zurück in Deutschland auf jeden Fall vermissen.

Chile Collage
Chile Collage

Aber genau an diesen Orten wird immer wieder klar, wie wichtig es ist, zumindest Teile der Natur unberührt zu lassen und diese zu schützen. Auch als Bauingenieurwesenstudentin kann ich darauf einen Einfluss haben und mich für nachhaltigeres Bauen einzusetzen.

Meine Zeit in Südamerika hat mich persönlich auf jeden Fall weiter gebracht, aber auch auf einer beruflichen Ebene hat sich herausgestellt, welchen Weg ich gehen möchte. Unser Planet ist schützenswert und ich möchte im Rahmen des Möglichen meinen Teil dazu beitragen.